Einen der ersten Wissensbereiche, den Vitruv nennt ist das Wissen
über historische Ereignisse, denn der Architekt verwendet
zur Schmückung der Bauwerke historische Motive, über
deren Hintergrund er Auskunft geben können sollte. Herausragende
Beispiele solchen Schmucks sind für Vitruv weibliche und
männliche Gebälkträger, die er als Karyatiden und
Perser (heutzutage allgemein Atlant) bezeichnet :
"Mancherlei geschichtliche Ereignisse muss
der Architekt kennen, weil die Architekten oft an ihren Bauten
viel Schmuck anbringen, über deren Bedeutung sie denen, die
danach fragen, warum sie ihn angebracht haben, Rechenschaft ablegen
müssen. Z.B. wenn einer mit langen Obergewändern bekleidete
weibliche Marmorstatuen, die Karyatiden heißen, an Stelle
von Säulen an seinem Bau aufgestellt und darüber Kragsteine
und Kranzgesimse gelegt hat, wird er denen, die danach fragen,
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folgendermaßen dafür
Rechenschaft ablegen. Karya, eine peloponnesische Stadt, stand
mit ihrer Gesinnung auf Seiten der persischen Feinde gegen Griechenland.
Als die Griechen später durch ihren Sieg ruhmreich vom
Kriege befreit waren, erklärten sie auf gemeinsamen Beschluß
den Karyaten den Krieg. Und so führten sie nach Einnahme
der Stadt, Ermordung der Männer und völliger Zerstörung
der Gemeinde deren Frauen in die Knechtschaft ab und gestatteten
ihnen nicht, ihre langen Gewänder und Schmuckstücke,
wie Frauen sie tragen, abzulegen, damit sie nicht in einem einmaligen
Triumphzuge vorgeführt würden, sondern in einem ewigen
Triumphzug, einem Musterbild der Knechtschaft, mit schwerer
Schande belastet für ihre Bürgschaft zu büßen
schienen."
(Forsetzung nächste Seite)
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